Am 04.10.2009 fand in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde am Goetheplatz 5 ein Festgottesdienst statt. Anlass war das über 100jährige Bestehen der „Brüdergemeinde“ und das fünfjährige Zusammengehen mit der „Christlichen Versammlung“ in Chemnitz.
Beide Gemeinden haben nämlich dieselben geistlichen Wurzeln in der zuerst in England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Brüderbewegung, die dem immer stärker werdenden Einfluss des Rationalismus und Liberalismus im kirchlichen Leben ein an der Bibel orientiertes praktisches Christ sein entgegensetzen wollte. Das führte natürlich zu Konflikten, z. T. auch zu Repressalien. Mit der Zeit wurden so aus erweckten Hauskreisen Keimzellen neuer Gemeinden.
So liegen auch für Chemnitz die Anfänge in einer Stubenversammlung auf einem Bauernhof in Ebersdorf, das damals etwa um das Jahr 1890 noch nicht zu Chemnitz gehörte. Im Laufe der Jahre wuchs dieser Kreis auf 38 Geschwister an.
Mit dem raschen Anstieg der Einwohnerzahl von Chemnitz infolge der Industrialisierung (die Einwohnerzahl stieg im Zeitraum 1870-1931 von 60000 auf 360000 an) ließen sich auch viele erweckte Leute aus beruflichen Gründen hier nieder und suchten eine neue geistliche Heimat, so dass man sich etwa ab 1905 in Chemnitz ebenfalls in einem Hauskreis versammelte. Zunächst im Wechsel in der Salzstraße und in der Reinhardtstraße 11. Dort fand 1908 oder 1909 auch das erste gemeinsame „Brotbrechen“ statt. Da die Wohnungen sehr bald zu klein waren, wurde durch ein Ehepaar aus diesem Kreis 1910 ein vierstöckiges Wohnhaus mit einem Werkstatt-Hintergebäude in der Zietenstraße 32 erworben.
Dieses Hintergebäude baute die Gemeinde in Eigenleistung zu einem ersten Gemeindesaal um, der etwa 45 Sitzplätze hatte. Weil vor allem durch evangelistische Aktivitäten die Besucherzahl immer weiter stieg, wurde dieser Saal 1926 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, der ca. 200 Besucher fasste und mit mehreren späteren Rekonstruktionsmaßnahmen bis in das Jahr 2004 „Heimat“ der Brüdergemeinde war.
Ein einschneidendes Ereignis war die Erteilung eines Versammlungsverbotes und die Beschlagnahmung des Gemeindeeigentums durch die braunen Machthaber am 27. April 1937.
Nach zahlreichen Bemühungen wurde in der Folgezeit nur unter strikten staatlichen Auflagen, wie Einführung des „Führerprinzips“, Führen von Mitgliederlisten, keine Mitgliedschaft von „nichtvölkischen Elementen“ u. ä. wieder ein Zusammenkommen erlaubt.
Für einen Teil der Gemeindeglieder waren diese Bedingungen unannehmbar, so dass sie sich nun im Untergrund versammelten und so mit der Zeit eine eigene Gruppierung wurden, die sogenannte „Christliche Versammlung“. Ein Name, der nie ein Eigenname war und früher für die ganze Bewegung gegolten hatte. Die anderen unterwarfen sich nach Abwägung der Vor- und Nachteile diesen Forderungen, um weiterhin ein Gemeindeleben zu ermöglichen und schlossen sich zum „Bund freikirchlicher Christen“ zusammen, dem landesweit auch Gemeinden der „Offenen Brüder“ beitraten. Auch in Chemnitz schloss sich eine solche seit 1924 existierende Gemeinde mit 27 Personen und einem Freundeskreis der Gemeinde in der Zietenstraße an. Im Jahre 1942 erfolgte ein weiterer Zusammenschluss mit dem „Bund der Baptistengemeinden“ zum „ Bund evangelisch- freikirchlicher Gemeinden K.d.ö.R. (BEFG), der sich trotz mancher Lehrunterschiede in den Kriegsjahren und später vor allem unter dem DDR-Regime bewährte.
Tiefpunkt waren sicher die Kriegsjahre, die auch in der Gemeinde zahlreiche Opfer forderten und die Bombardierung von Chemnitz, die 15 Familien der Gemeinde obdachlos machte.
Viele Ungewissheiten in der Nachkriegszeit, sowie politische und wirtschaftliche Gründe veranlassten manche Christen, nach dem „Westen“ zu gehen. Aber es begann auch ein neuer geistlicher Aufbruch, so dass die Gemeinde wieder wuchs. Kinder-, Jugend- und Chorarbeit, die von Anfang an zum Gemeindeleben gehörten, wurden neu belebt. Ab 1948 gab es dann auch die ersten „Bibelfreizeiten“ und die „Rüstwoche für dienende Brüder“ in Leipzig. Über die mit der Gründung der DDR verbundenen Restriktionen, die später in der Bespitzelung des Gemeindesaal gipfelten, muss an dieser Stelle nichts weiter gesagt werden, weil das auch andere betraf und gerade in diesen Tagen anderweitig ausführlich beleuchtet wird.
Mit der Wende 1989 wurde auch für die Gemeinde vieles leichter, aber es kamen dafür andere Probleme wie Arbeitslosigkeit und später der Wegzug vor allem junger Gemeindeglieder zur Ausbildung oder wegen des Arbeitsplatzes dazu.
Die neuen Eigentumsverhältnisse des Gemeindesaales waren plötzlich unsicherer, und die Substanz des Gebäudes wurde trotz Rekonstruktion immer schlechter. Außerdem entvölkerte sich der Standort „Sonnenberg“ immer mehr, so dass nach einem günstigeren Grundstück Ausschau gehalten wurde. Nachdem in der Folgezeit ca. 30 Objekte geprüft, besichtigt oder zu kaufen versucht wurden, bewarb sich die Gemeinde im Oktober 2000 um das Grundstück Goetheplatz 5 mit einem 1953 erbauten Gebäude, das bis zur Wende als Internat diente.
Mit dem Zuschlag am 14.06.02 begann zunächst die Entrümpelung und nach Erhalt der Baugenehmigung am 28.03.03 der grundlegende Umbau zu einem Gemeindehaus mit einem Saal für ca. 200 Besucher, vielen Nebenräumen für die Gemeindearbeit und 3 Wohnungen für Gemeindeglieder. Am 12.06.04 konnte dieses Haus und das Grundstück in Besitz genommen werden. 2004 schlossen sich die Geschwister der „Christlichen Versammlung“, die schon in der Zietenstraße 32 einige Jahre lang „Untermieter“ waren, der Brüdergemeinde Chemnitz an. Damit war die Trennung von 1937 nach 67 Jahren in Chemnitz erstmalig wieder aufgehoben und uns verbindet von Anfang an ein gutes brüderliches Miteinander.
Wir sind unserem Herrn dankbar für alle diese gnädigen Führungen und wollen weiterhin ein lebendiges Zeugnis für unsere Umgebung und unsere Stadt sein.
P.S.:
Wer sich für unsere Gemeinde interessiert, kann uns gern besuchen kommen und auch eine kleine Gemeindechronik erhalten, die manches ausführlicher darstellt, und wer noch mehr zur Brüderbewegung insgesamt wissen möchte, dem seien die 3 Bände zur „Geschichte der Brüderbewegung“ von Gerhard Jordy anempfohlen, die sicher in vielfältiger Weise zugänglich sind (z. B. in den „Handreichungen“ vom Evangelischen Versandbuchhandel
O. Ekelmann Berlin 1980/82 oder Ausgaben vom R. Brockhaus Verlag Wuppertal ab 1981).